Wiederherstellung der Immuntoleranz durch antikörpervermittelte Mikrobiomkorrektur

Heilung immunologischer Erkrankungen durch spezifische Veränderung der bakteriellen Besiedlung des Darms

Der Mensch beherbergt eine große Anzahl von Mikroorganismen, die in ihrer Gesamtheit als Mikrobiom bezeichnet werden. Einige dieser symbiotischen Bakterien haben einen signifikanten Einfluss auf die Struktur und Funktion des Wirt-Immunsystems. Die tägliche Auseinandersetzung des Immunsystems mit den Bestandteilen des Mikrobioms führt zu einer »physiologischen Entzündungsreaktion«, die wiederum starke adaptive Immunantworten auslöst.

Der menschliche Darm stellt einen wichtigen Teil des Immunsystems dar und ein gestörtes Darmimmunsystem spielt eine wesentliche Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Autoimmunerkrankungen. Aktuell sind bis zu 100 verschiedene Autoimmunerkrankungen identifiziert. Die Häufigkeit von Autoimmun- und atopischen Erkrankungen nimmt rasant zu. 50 Millionen Autoimmunerkrankte und 60 Millionen Asthma- und Allergiekranke sind allein in den USA verzeichnet. Eine neue Therapie der Wiederherstellung der Immuntoleranz durch eine gezielte Mikrobiomkorrektur weist somit große ökonomische Chancen auf.
 

Es werden dringend neue, effiziente und gut verträgliche Therapiemöglichkeiten benötigt


Therapeutische Ansätze für Immunerkrankungen sind aufgrund ihres meist chronischen Verlaufs weiterhin eine Herausforderung. Patienten benötigen häufig langfristige medikamentöse Therapien sowie eine Immunsuppression – mit teilweise erheblichen Nebenwirkungen. 

Bereits in einem vorangegangenen Forschungsansatz konnte gezeigt werden, dass die orale Applikation eines spezifischen Antikörpers zur Neutralisierung bestimmter Darmbakterien zu einer direkten Modulation des Immunsystems bzw. der Immunantwort durch Veränderungen im Darm-Mikrobiom führt. Initiale Experimente im Mausmodell konnten weiterhin eine deutliche Reduktion des Schweregrads eines experimentell ausgelösten Asthma bronchiale im Vergleich zu unbehandelten Tieren zeigen.

Der enge Zusammenhang zwischen spezifischen Bakterien der Darmflora und der Ausprägung von Autoimmunerkrankungen lässt die Hypothese zu, dass Autoimmunerkrankungen durch eine Veränderung der Darmflora therapiert werden können

© Fraunhofer ITEM

In dem vorliegenden Versuchsvorhaben soll eine Neutralisierung von Darmbakterien, die nachgewiesenermaßen einen systemischen und immunstimulierenden Effekt aufweisen, weiter untersucht und optimiert werden. Das Ziel ist ein neuartiger Therapieansatz zur Behandlung von Immunerkrankungen auf der Basis einer Antikörper-vermittelten, spezifischen Mikrobiomkorrektur. 

Die therapeutischen Antikörper werden aus den Eiern von immunisierten Hühnern gewonnen
 

Eine Wiederherstellung der Immuntoleranz durch Mikrobiomkorrektur soll als neuartiges therapeutisches Konzept für ganze Krankheitsgruppen etabliert werden. Eine spezifische Veränderung des Darm-Mikrobioms soll mit oral applizierten Antikörpern erfolgen. Diese Applikationsform hat den großen Vorteil, dass es nicht zu einem Übertritt der Antikörper in die Zirkulation kommt und somit häufige Nebenwirkungen einer Antikörpertherapie vermieden werden können. Die therapeutischen Antikörper werden aus den Eiern von immunisierten Hühnern gewonnen, was zahlreiche Vorteile gegenüber klassischen Ansätzen birgt: In Vergleichsstudien weisen diese Antikörper eine deutlich höhere Affinität auf und binden schneller an die Zielproteine. Außerdem reagieren IgY nicht mit dem menschlichen Komplementsystem und weisen eine besonders hohe Säurestabilität auf.

Für die Generierung hochspezifischer Antikörper wurden geeignete Epitope innerhalb der bekannten Zielsequenz über Hydrophobizitäts- und Hydrophilizitätsskalen berechnet. Die Zielsequenz mit der rechnerisch besten Antigenität wurde für die Antikörperherstellung ausgewählt. Die spezifischen sowie Kontrollantikörper werden aus Hühnereiern isoliert und stehen dann für die orale Antikörpertherapie zur Verfügung. In ersten präklinischen Validierungen wird die Verträglichkeit des Antikörpers in Toxizitätsassays sowie die optimale Dosis im Tiermodell bestimmt. Anschließend wird die immunologische und therapeutische Wirksamkeit der antikörpervermittelten Bakterium-Neutralisierung in einem therapeutischen Ansatz zur Behandlung von immunmediierten Erkrankungen im etablierten Tiermodellen (z.B. Asthma bronchiale und Multiple Sklerose) untersucht.

Ausblick: Die nächsten Entwicklungsschritte – bis zum erfolgreichen Behandlungskonzept

Drei Wissenschaftlern in Laborkitteln arbeiten in einem Labor. Eine Person sitzt an einem Mikroskop, eine arbeitet an einer Sterilbank und eine steht an einem geöffneten Inkubator und betrachtet eine Zellkulturflasche.
© Fraunhofer IME

Die indirekte Immunmodulation soll über körperfremde Zielstrukturen bewirkt werden. Der Therapieansatz ist besonders attraktiv, da kaum Nebenwirkungen zu erwarten sind (im Gegensatz zu den meisten etablierten Therapien, wie beispielsweise Dexamethason für die allergische Atemwegserkrankung) und ggf. Möglichkeiten für eine stark vereinfachte Zulassung (z. B. als »Novel Food«) bestehen. Der großen sozioökonomischen Bedeutung und Vielfältigkeit der adressierten Immunerkrankungen steht ein vergleichsweise einfaches Therapiekonzept gegenüber. Die Herstellung von Bakterien-spezifischen IgY-Antikörpern ist verhältnismäßig schnell und günstig und kann gut hochskaliert werden. Die orale Gabe eines Medikaments erhöht zudem die Akzeptanz, Therapietreue und die Sicherheit für den Patienten.

Weiterer Forschungsbedarf
 

Nach erfolgreicher präklinischer Testung in Tiermodellen müssen Daten in klinischen Studien generiert werden, um die Wirksamkeit und Verträglichkeit des neuen therapeutischen Konzepts im Menschen zu untersuchen, bevor die Behandlung zugelassen werden kann.