Proximitätsinduzierende Substanzen (ProxiDrugs)

Plattformleiter: PD Dr. Aimo Kannt

Ziel der Plattform ist es, die Wirkstoffklasse der proximity inducing drugs (PiDs) für die Behandlung immunvermittelter Erkrankungen nutzbar zu machen. PiDs sind bifunktionale Moleküle, die durch transiente Bindung an zwei Zielstrukturen diese in räumliche Nähe zueinander bringen und dadurch einen biologischen Effekt auslösen. Bei PiDs im engeren Sinne ist eine der beiden Strukturen eine Ubiquitin-E3-Ligase, die andere das Zielprotein, das durch diese E3-Ligase für den Abbau im Proteasom markiert wird. Diese PiDs führen damit zum vollständigen Verlust des Zielproteins mit all seinen, z.B. katalytischen, strukturgebenden oder regulatorischen Funktionen, was PiDs von klassischen Inhibitoren unterscheidet.

 

80% des humanen Proteoms gilt als »undruggable«

Trotz eines großen Arsenals an verfügbaren Wirkstoffklassen gelten ca. 80% des humanen Proteoms als therapeutisch nicht oder nur schwer zugänglich. Ein aktives Zentrum ist für die Wirkung von PiDs nicht erforderlich – damit wird es möglich, bisher als undruggable geltende, krankheitsrelevante Zielproteine zu adressieren.

Bei den PiDs, speziell den PROTACs (proteolysis-targeting chimeras) handelt es sich um eine neue, aber sehr intensiv beforschte Klasse von Molekülen. Die am weitesten fortgeschrittenen Wirkstoffe dieser Klasse befinden sich aktuell in frühen Phasen der klinischen Entwicklung, vor allem für onkologische Erkrankungen.

 

Charakterisierung und Optimierung von PiDs

Die Arbeiten innerhalb der Plattform sollen dazu dienen, die Infrastruktur, Prozesse und Arbeitsabläufe für das Design, die Synthese, die Charakterisierung und Optimierung von PiDs in in einer institutsübergreifenden Zusammenarbeit zu etablieren. Dabei sollen zwei Klassen von PiDs bearbeitet werden: PROTACS und LYTACs (lysosomal-targeting chimeras). Am Beispiel von einem oder mehreren ausgewählten Zielproteinen sollen PiDs identifiziert, ihre Wirksamkeit in Modellen immuno-inflammatorischer Erkrankungen geprüft und ihre Wirkungsweise mit der klassischer Inhibitoren verglichen werden.

 

Illustration der Funktionsweise von PiDs am Beispiel von PROTACs und »molecular glues«. Aus Kannt A, Đikić I. Expanding the arsenal of E3 ubiquitin ligases for proximity-induced protein degradation. Cell Chem Biol. 2021 Jul 15;28(7):1014-1031. doi: 10.1016/j.chembiol.2021.04.007

 

Koordinierte Institutsübergreifende Zusammenarbeit als Basis

Erfahrungen und Vorarbeiten zu dieser Klasse von Therapeutika sind in der Fraunhofer-Gesellschaft aktuell noch begrenzt, es gibt keine koordinierte, institutsübergreifende Zusammenarbeit zu diesem Thema. Die PiD-Plattform wird die etablierten Strukturen des CIMD nutzen, um solche Kooperationen auf den Weg zu bringen. Darüber hinaus soll die PiD-Plattform eng mit dem Zukunftscluster PROXIDRUGS im Rhein/Main-Gebiet vernetzt werden. 

Die PiD-Plattform kombiniert die Expertise des Fraunhofer ITMP bei Design, Synthese und Optimierung von Wirkstoffen mit der Erfahrung des Fraunhofer ISC bei der Entwicklung dreidimensionaler humaner Gewebemodelle, der Spezialisierung des Fraunhofer ITEM im Bereich relevanter in-vivo-Modelle respiratorischer Erkrankungen und mit der Expertise des Fraunhofer IAP bei der gezielten Glykosylierung biologischer Wirkstoffe.

 

Ausblick

Für den Aufbau der Therapieplattform sollen anhand eines oder mehrerer ausgewählter Zielprotein die einzelnen Tools und Arbeitsschritte zu Identifizierung, Charakterisierung und Optimierung von PiDs beispielhaft entwickelt und umgesetzt werden. Die institutsübergreifende Zusammenarbeit soll es dabei ermöglichen, neben robusten Hochdurchsatz-Testsystemen in einfach zu kultivierenden und zu manipulierenden Zelllinien auch komplexere, physiologisch und pathophysiologisch relevantere Modellsystemen humanen Ursprungs, prädiktive in-vivo-Modelle und ausgereifte analytische Methoden zu entwickeln, die es ermöglichen, den funktionellen Effekt von PiDs in ihren Zielgeweben und –zellen auf molekularer Ebene zu untersuchen.

Die Anwendung von PiDs ist aktuell auf onkologische Erkrankungen beschränkt. Es gibt nur wenige Moleküle in der klinischen Entwicklung und die Wirkungsweise von PiDs, etwa im Vergleich zu Inhibitoren der gleichen Zielproteine, noch nicht vollständig verstanden. Ein großes Potenzial für die Wirkstoffklasse liegt in der fast unerschöpflichen Modularität, die sich durch die Kombination verschiedener Bindungsstellen für Zielproteine und E3-Ligasen ergibt. Abhängig von der rekrutierten E3-Ligase variiert das Repertoire an abbaubaren Proteinen und damit die Spezifität, die Wirkung und potenzielle Nebenwirkungen von PiDs. Bislang sind nur für weniger als zehn der über 600 bekannten E3-Ligasen Bindungsmodule bekannt, die zum Design von PiDs genutzt werden können. Viele E3-Ligasen werden gewebespezifisch exprimiert, einige sogar bevorzugt in erkranktem Gewebe. Die Entwicklung von Liganden für diese E3-Ligasen würde den gewebe- oder zellspezifischen Abbau von krankheitsrelevanten Proteinen ermöglichen.